No & Si

Keine Ahnung, wohin wir da schauen, worüber wir sprechen, wahrscheinlich über sorglose Zeiten, wenn auch arg theatralisch, zugegeben. „Si & No – dream team“ – nicht meiner, ihr Kommentar zu ihrem Foto aus ihrer Pappschachtel, dreißig Jahre später.

Si – eine damals angehende, später recht erfolgreiche Philosophin, Richtung Frankfurter Schule plus Hannah Arendt. Als barfüßige Spitzenkandidatin der Grünen spielte sie nachts Saxophon in den Fraktionsräumen des Hamburger Rathauses. Mein Interesse war geweckt. Vor unserem ersten Gespräch, unter dem Vorwand eines Interviews zustande gekommen, entrann es mir:  Heirat! Nach ihrem ebenso erbarmungslosen Nein! drückte ich entmutigt auf die Ein-Taste meines Aufnahmegeräts.

No – Quereinsteiger, politischer Redakteur einer Wochenzeitschrift. Ich war damals froh, der Bonner Opposition und der langweiligen wissenschaftlichen Mitarbeiterzeit im Langen Eugen endlich entkommen zu können. Dass sich die quälende Kohl-Regierung ihrem Ende zuneigte, war Mitte der achtziger Jahre zwar schon zu hoffen, drauf verlassen wollte ich mich aber nicht – Absprung nach Hamburg.

Si & No waren die ersten Buchstaben unserer Vornamen. So hauchten wir uns an, was ich, nach drei langen Jahrzehnten allerdings vergessen hatte. Sie erinnerte mich daran. Auch daran, dass mir damals ihre Brüste zu klein erschienen. Merkwürdig, war mir ebenfalls entfallen.

Wir heirateten also nicht. Ich ab diesem missglückten Versuch vorgeblich grundsätzlich nicht, sie hingegen heiratete fast unmittelbar nach unserer Trennung einen jungen Dirigenten.

Meine eigenen Erinnerungen an unsere Zeit kreisen deswegen um Trennungen und Katastrophen: Kreisen um erste Trennungen auf dem Rückweg von Schiermonnikoog oder der Großen Freiheit; kreisen um eine gespenstische Nacht in Bastia, als nicht weit entfernt die Tribüne eines Fußballstadions zusammenbricht; französisch-italienisch gestikulierende Leute auf den Straßen, die ihre Toten beklagen. Tags darauf, kurz vor einer weiteren Trennung, krachte die Fähre nach Livorno furchterregend auf und ab. Meine Erinnerungen kreisen schließlich um unseren letzten gemeinsamen Elbe-Spaziergang ein Jahr später; ich gab ihr auf der Övelgönne eine Ohrfeige, sie biss mir in den rechten Zeigefinger, der dann taub blieb, bis sich nach zwei Jahren die Nervenbahn wieder normalisiert hatte.

Am lädierten Zeigefinger lag es nicht, dass meine Zeit als quasi behinderter, weil schreibmaschinenschreibender Journalist in Hamburg endete. Ich hatte mich 1992 mit dem neuen Chefredakteur überworfen, was mit einer gewissen Querköpfigkeit zu tun hatte, die mir schon häufiger im Weg stand; wahrscheinlich eine Überfixierung auf zwei so verwandte wie verflixte Lehrsätze, Kants Nie lügen und Hannahs Nobody has the right to obey. Nun ja, lassen wir das. Ich nahm den vom Verlag vergoldeten Abschied an und konnte später auf dem fernen Holterberg und in Caputh neue Freude empfinden.

No & Si heute, dreißig Jahre später, fragt mich mein Freund Boris, wächst da was Neues?

Nein, tut es nicht, leider. Obwohl, zumindest die Chance war da: Beide wieder Single, die Farbe war geblieben. Sie glücklich geschieden, ich allerdings schleppe jetzt seit vier Jahren das nächste Trauma hinter mir her. Idiot, lass es doch einfach sein, sage ich mir, bis dann wieder einmal ein solches Foto hervorgekramt wird.