Corporate Streams & Videos – Iconic Turn in der Unternehmenswelt

Anmerkungen zur Zukunft der audiovisualisierten Unternehmenskommunikation

Erinnert sich noch jemand an das „Corporate TV“ der 1980er und 90er Jahre? Einige bekannte europäische und japanische Großunternehmen eiferten amerikanischen Konzern-Giganten nach, um die interne und externe Kommunikation mit Hilfe eigener TV-Projekte zu visualisieren. Obwohl viel Geld in Equipment und Personal verpulvert wurde, da man die Qualitätsstandards der professionellen Film- und Fernsehproduktion erfüllen wollte, blamierten sich die meisten kläglich. Der Iconic Turn in der Unternehmenswelt musste auf Fortschritte in der Informationstechnologie und Digitalisierung warten.

Der Siegeszug der Audiovisualisierung und Bewegtbild-Kommunikation ist auch im Unternehmensbereich nicht aufzuhalten – dank Internet und Intranet, dank neuer Bandbreiten, dank preiswerter Endgeräte und Mobile-Apps, dank eines rasanten Lern- und Anpassungsprozesses aller Gesellschaftsschichten an das World Wide Web.

Webvideo, Instant Collaboration Network, Virtual Reality, 3D-Animation, Live-Streaming … all das zählt mittlerweile weit über Großunternehmen der „Industrie 4.0“ hinaus bereits zum Alltag vieler kleiner und mittlerer Unternehmen. (Vereinfachend fasse ich im Folgenden die diversen Verzweigungen dieser Kommunikationsformen unter dem Begriff „Corporate Streams & Videos“ und der Abkürzung „CSV“ zusammen.) Anders als das traditionelle „Unterhaltungsmedium“ Fernsehen dienen  CSVs als produktivitätssteigernde „Arbeitsmedien“, auf die im 21. Jahrhundert kein Unternehmen verzichten kann, ohne seine Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.

Um es nochmals zu betonen: Es handelt sich hier nicht um exklusive Kommunikationsformen global agierender Konzerne. Wie es das Intranet bereits heute in vielen mittelständischen Firmen zum dominanten Kommunikationsmedium gebracht hat, so wird Gleiches mit dem auf CSVs fokussierten Intranet geschehen. Aufgrund rapide sinkender IT-Kommunikations- und Produktionskosten, aufgrund der Fortschritte der IT-Convenience-Technologies werden selbst kleinste Handwerksbetriebe CSVs nutzen, zum Beispiel um Mitarbeitern im Außendienst oder ihren Kunden audiovisualisierte Unterstützung zukommen zu lassen.

Meine Prognose lautet: Spätestens im Jahr 2030 werden es CSVs  zum Leitmedium der Unternehmenskommunikation gebracht haben. Das heißt: CSVs werden das Zentrum im Medien-Mix der Unternehmen bilden; CSVs werden zur wichtigsten Schaltstelle der Unternehmenssteuerung und zum integrierenden Fokus der internen und externen Kommunikation; mit allen relevanten Zielgruppen – Mitarbeiter, Geschäftspartner, Kunden, Journalisten, Analysten – wird in erster Linie über CSVs kommuniziert werden. CSV-Kompetenzen werden zu entscheidenden Karriere-Kriterien des Personals in Vorständen, im Marketing, in Kommunikation und Public Relations.

Der neben Digitalisierung und Internet mitentscheidende Grund für den Aufstieg dieser Kommunikationsform lässt sich erkennen, wenn wir kurz in die Mediengeschichte zurückgreifen. Auch wenn es sich anböte, kann im Rahmen dieses Kurzbeitrags darauf verzichtet werden, die Linien hin zum iconic turn der Medientheorie etwa im Sinne Friedrich Kittlers zu verlängern; einer historischen Drehung, die sich ja im Wahrnehmungsvermögen aller modernen Gesellschaften und Individuen vollzogen hat.

Im Unterschied zum menschlichen Hör- und Sehapparat erlauben Film- wie Tonmaterial den Schnitt und eine Vielzahl von Manipulationen, die mit unseren Gefühlen, Affekten und unbewussten Reaktionen nahezu beliebig spielen können. Sehr früh geriet diese Kommunikationsform daher in den Verdacht, Individuen und Gemeinschaften ihrer Realität zu entfremden, statt – wie der menschliche Hör- und Sehapparat – sich ihr annähern zu helfen.

Vor allem der Bildlichkeit – die Skepsis und Ablehnung ihr gegenüber reicht zurück bis in die Antike – wurde eine enorme „Verführungskraft“ zugesprochen, ob sich die „Macht der Bilder“ nun in gigantischer Renaissance-Malerei, in den Filmpalästen oder Fernsehquoten des 20. Jahrhunderts oder in der Virtual Reality des 21. Jahrhunderts manifestiere. Nicht wenige Gesellschaftskritiker sprechen von einer „Agonie des Realen“.

Dieser Kritik liegt heute ein Dualismus von irrationalen, gefühlsorientierten Medien (Film, Fernsehn) und rationalen, vernunftorientierten Medien (Schrift, Computer) zugrunde, dem widersprochen werden muss. Die moderne Medientheorie stellt – neben anderen Funktionen – die Erkenntnisfunktion von Bewegtbild, Film, Video oder Television nicht länger in Frage. Sie verweist auf die Möglichkeiten einer schnellen, intuitiven und assoziativen Orientierung durch audiovisuelle Kommunikation; sie verweist – mit Bezug auf psychologische Studien und empirische Hirnforschung – auf eine gesteigerte Genauigkeit und Nachhaltigkeit des Erinnerungsvermögens. Etwas vereinfachend könnte man sagen, dass auch CSVs ein blitzartiges und emotional verstärktes In-Bildern-Denken ermöglichen.  Jedenfalls wird eine Unternehmenskommunikation, die diese spezifische Erkenntnisfunktion nicht optimal ausreizt, immer unzeitgemäßer.

Kombiniert mit den Variablen des Internet – globale Vernetzung, Aktualisierung und Synchronisation, Interaktivität und Hybridität, Skalierung – ergeben sich so die wichtigsten Vorteile von CSVs: eine emotional verstärkte und sinnlich erweiterte Informations- und Wissensvermittlung in Produktion und Vertrieb, in Forschung und Entwicklung, in Schulung und Weiterbildung; historisch völlig neuartige Simulationsniveaus, die ein virtuell kontrolliertes Handeln in allen Geschäftsprozessen ermöglichen.

CSVs ermöglichen eine dem gesellschaftlichen Umfeld („Mediengesellschaft“) angemessene interne Kommunikation zwischen Unternehmensführung, Management und Mitarbeiterbasis sowie, nicht zuletzt, eine zeitgemäße Teilnahme von Wirtschaftsunternehmen – wie aller Akteure – am Agenda-Setting in Gesellschaft und Politik.